Autorin liest: Sara Paretsky
Bevor ich Autorin wurde, war ich Leserin – begeisterte und immer-und-überall Leserin. Als Kind habe ich Familienfeiern überstanden, indem ich mir etwas Lesbares schnappte (Regenbogenpresse, Bücher, Heftchenromane).
Seitdem ich schreibe, lese ich anders – selbst wenn ich in der Geschichte versinke, beschäftigen mich Fragen nach Plot und Figurenkonstruktion, nach Dramaturgie und Wendepunkten. In der Rubrik „Autorin liest“ werde ich euch – in unregelmäßigen Abständen – Romane vorstellen, die mir als Leserin und Autorin sehr gut gefallen haben.
Autorin: Sara Paretsky
Titel: Kritische Masse
Link zum Buch: Argument-Verlag
Klappentext
Der Sommer geht zur Neige. Im ländlichen Illinois stehen schwere Missernten bevor, in der Großstadt Chicago geht die soziale Schere immer weiter auseinander. Die panische Nachricht einer haltlosen Frau auf Dr. Herschels Anrufbeantworter führt Privatdetektivin Vic Warshawski nach Palfry County. Doch statt der erwarteten Landkommune findet sie dort nur noch eine verlassene Methküche vor und einen toten Hund.
Zurück in Chicago ist Warshawski zwar auf vertrautem Terrain, aber ihre Vermisstensuche weitet sich aus zu einer Odyssee durch Zeit und Raum, und die Gegenseite hat fast unbegrenzte Ressourcen.
Großmeisterin Sara Paretsky demonstriert die gewaltige Erzählkraft der Kriminalliteratur in diesem elegant geplotteten Hardboiled-Roman mit Privatdetektivin Vic Warshawski, die hier einmal mehr an ihre Grenzen gerät. Die Suche nach einer Vermissten führt die Ermittlerin erst in die Prärie, dann zu einem Chicagoer Hightech-Unternehmen und schließlich in die Geschichte der physikalischen Speichermedien. Denn an der verschollenen Judy Binder und ihrem ebenfalls abgetauchten Sohn hängt ein dunkles Rätsel, das zu knacken Gefahr für Leib und Leben mit sich bringt. Was hat die abgedrehte Junkie-Frau mit einem Nobelpreisträger für Physik aus den 1950ern zu tun? Und inwiefern ist durch Warshawskis Nachforschungen die Familienehre einer IT-Dynastie bedroht?
Warum ich das Buch vorstelle
Einen Krimi mit Vic Warshawski zu lesen, ist für mich eine Zeitreise in meine Jugend. Dank der Frauenkrimis aus dem Ariadne-Verlag habe ich zu Krimis gefunden. Sara Paretsky war Kult – alle meine Freundinnen und ich haben ihre Abenteuer verschlungen. Meine Freundin Katja war so ein großer Fan, dass sie einen Stadtplan von Chicago zum Geburtstag bekam. (Die ersten Warshawskis kamen lange vor dem Internet zu uns.)
Was mir als Autorin sehr gefallen hat
Sara Paretsky hat es einfach drauf, eine gradlinige Geschichte zu erzählen, in der man der Heldin gern folgt und mitfiebert, ob es ihr gelingt, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Denn in der Geschichte geht es um etwas Großes, um Kriegsverbrechen und das Thema Atombombenforschung nach dem 2. Weltkrieg.
Die Autorin erzählt die Geschichte auf vielen Zeitebenen. Wir springen vom Chicago der Gegenwart nach Wien in die Jahre 1913, 1938 und 1941 und schließlich auch in die Vereinigten Staaten des Jahres 1953. Sehr lange habe ich mich gefragt, wie die unterschiedlichen Zeitebenen mit der Einstiegsgeschichte über die Drogenfarm zusammenhängen.
Fans von V. I. Warshawski und ihren Nebenfiguren erfahren einiges über die Lebensgeschichte der Ärztin Lotty Herschel. Überhaupt sind die Figuren wunderbar gestaltet, mit Ecken und Kanten entwirft Sara Paretsky lebensechte Figuren, wobei mir besonders V. I. Warshawskis Nachbar, Mr. Contreras, ans Herz gewachsen ist.
Wem empfehle ich das Buch?
Allen, die gradlinige Geschichten mit politischer Tiefe und kantigen Figuren mögen.
Bild: pixabay